Freitag, 13. März 2015

Immanuel Kant und die evolutionäre Erkenntnistheorie

(zuletzt überprüft am 5. Dezember 2020)  

Die in der Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene evolutionäre Erkenntnistheorie zeigt den Zusammenhang auf zwischen der realen Außenwelt und Immanuel Kants Welt der Erscheinungen, die in unserem Verstand stattfindet. Wie ist es möglich, dass wir uns mit den angeborenen Denk- und Anschauungsformen in der realen Welt zurechtfinden? Darauf wusste Kants idealistische Philosophie nach dem damaligen Stand der Wissenschaft keine Antwort. Die Antwort gibt uns die ursprünglich auf den Biologen und Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903 - 1989) zurückgehende evolutionäre Erkenntnistheorie. Danach hat sich unser Verstand im Lauf der Evolution durch Anpassung an die Umwelt entwickelt. Lorenz schreibt in seiner Arbeit von 1941 ("Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie"), dass unsere angeborenen Anschauungsformen und Denkkategorien aus genau den selben Gründen auf die Außenwelt passen, aus denen der Huf des Pferdes auf den Steppenboden und die Flosse des Fisches ins Wasser passt.

Durch diese evolutionstheoretische Überlegung erscheint die idealistische Philosophie Kants in  einem völlig neuen Licht. Raum und Zeit sind nun nicht mehr von der Wirklichkeit losgelöste Verstandeskategorien. Sondern sie sind Ordnungssysteme unseres Verstandes, mit deren Hilfe wir uns in der realen Welt orientieren.

Auf diese Weise erhalten wir zunächst eine naheliegende Erklärung dafür, warum uns z.B. Raum und Zeit als Anschauungs- und Denkformen angeboren sind. Das Nebeneinander und das Nacheinander der Dinge in der Außenwelt ist Grundlage für die Entstehung der Kategorien Raum und Zeit im Verstand. Die Zeit als angeborene Form der Anschauung hat ihren entwicklungsgeschichtlichen Ursprung im realen Nacheinander der Dinge. Der Raum als Ordnungsstruktur des Verstandes hat seinen Ursprung im realen Nebeneinander der Dinge.

Doch damit bleiben noch einige Fragen offen. Entspricht die Vorstellung von absoluter Zeit, die wir von Natur aus haben (es gibt nur eine Zeit, die gleichmäßig verläuft) der Realität? Beweist die absolute Zeit im Verstand eine absolute Zeit in der Außenwelt? Wie ist die Vorstellung von absoluter Zeit in den Verstand gekommen? Kann es zwei Arten von Zeit geben, nämlich die Zeit im Verstand und die Zeit in der Außenwelt?

Zur ersten Frage. Das herrschende relativistische System in der Wissenschaft hat schon vor Jahrzehnten das Aufkommen einer auf der evolutionären Erkenntnistheorie beruhenden Zeittheorie verhindert mit dem Argument, die Vorstellung von absoluter Zeit im Verstand diene evolutionär gesehen dem Überleben, jedoch nicht der Wahrheit. Naturwissenschaftlich sei die Relativität der Zeit erwiesen. - Sicher ist der Pferdehuf kein direktes Abbild des Steppenbodens, aber der Huf ist optimal an den Steppenboden angepasst. Gleiches gilt für die Flosse des Fisches im Wasser und für allen anderen entsprechenden Beispiele. Ebenso beruhen unsere angeborenen Vorstellungen von Raum und Zeit auf einem Anpassungsprozess an die reale Außenwelt. Dagegen beruht der Zeitbegriff der Relativitätstheorie auf überholten philosophischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts.

Die nächste Frage, nämlich wie die absolute Zeit in den Verstand kommt, führt uns einen Schritt weiter zur Lösung. Der Verstand macht bereits in einem sehr frühen Entwicklungsstadium die Erfahrung, dass es nur eine Außenwelt gibt, in der alle Veränderungen und Bewegungen erfolgen. Darin liegt der Ursprung der Vorstellung, dass es nur eine Zeit gibt.

Dass diese ursprüngliche Erfahrung der Wahrheit entspricht, wird durch folgende einfache Überlegung bestätigt. Die Welt als Ganzes (Physiker würden sagen, die Welt als physikalisches System) befindet sich in jedem Augenblick in einem bestimmten Zustand. Der Zustand der Welt ändert sich von Augenblick zu Augenblick durch die Schwingungen unzähliger Atome und Moleküle, durch unzählige Veränderungen von atomaren  bis zu galaktischen Größenordnungen. Wenn in jedem Augenblick die Welt als Ganzes in einem bestimmten Zustand ist, so ist jeder Augenblick in der gesamten Welt der selbe. Wäre dies nicht der Fall, so würde die Welt als Ganzes nicht gleichzeitig existieren.  Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wären nicht zu unterscheiden. Weil es nur eine Welt gibt, gibt es nur eine Zeit.

Wie kommt die Vorstellung von gleichmäßig verlaufender Zeit in den Verstand? Der regelmäßige Wechsel von Tag und Nacht führt in einem frühen Entwicklungsstadium des Verstandes zu der Vorstellung eines gleichmäßigen Zeitverlaufs. Der Wechsel von Tag und Nacht ist die früheste Uhr in der Menschheitsgeschichte, so dass eine bestimmte Dauer in Tagen angegeben und gemessen werden kann, sobald der Mensch zum Zählen fähig ist.

Entspricht die Vorstellung der gleichmäßig verlaufenden Zeit der Wahrheit? Sobald wir erkennen, dass Zeit keine Substanz im Sinne Newtons ist, dass sie auch nicht in den Relationen von Leibniz besteht, sondern dass Zeit eine Ordnungsstruktur im Verstand ist: sobald wir dies erkennen, dann sehen wir, dass das Gleichmaß der Zeit das Maß für die Dauer realer Veränderungen ist. Wir sehen dies auch daran, dass nur eine gleichmäßig gehende Uhr zum Messen einer Dauer geeignet ist, weil nur eine gleichmäßig gehende Uhr eine Sekunde stets als die selbe Größe wiedergibt. - Allerdings trifft das Wort von gleichmäßig verlaufender Zeit in einem Punkt nicht zu. Denn nicht die Zeit verläuft oder fließt dahin, sondern die realen Zustände verändern sich, die Geschehnisse bilden Verläufe, deren Dauer und Geschwindigkeit wir am Maßstab der Zeit messen (siehe dazu meine Theorie der Zeit).

Mit diesen wenigen und einfachen Überlegungen haben wir die Grundlagen für eine neue Theorie des Raumes und der Zeit. Sie vereint die manchem als weltfremd geltende Philosophie des großen Immanuel Kant mit den Erkenntnissen der Evolutionstheorie.

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