zuletzt bearbeitet im Januar 2020
1. Vorbemerkungen
Philosophieren besteht darin, Antworten auf Fragen zu suchen, die nur durch das Denken gefunden werden können. Darin unterscheidet sich die Philosophie von der Naturwissenschaft, die vorrangig durch Beobachten, Messen, Experimentieren und Berechnen ihre Erkenntnisse gewinnt. Die Frage nach dem Wesen von Raum und Zeit wurde schon durch Denker in der Antike gestellt. Doch der Untergang der damaligen Zivilisation bedeutete auch einen Abbruch und Verlust von Wissen und Denken.
Gegenstand dieser Theorie ist die Zeit, die als Maßeinheit definiert wird oder als messbar verstanden und meist als physikalische oder objektive Zeit bezeichnet wird. Sie ist zu unterscheiden von gefühlter Zeit, die Gegenstand der Psychologie ist. Sie ist auch zu unterscheiden von soziologischen, existenzphilosophischen und anderen Zeitkonzepten. Die Frage, was die Zeit eigentlich ist - ein real existierendes Ding, eine Eigenschaft der Dinge und der Welt, eine Kategorie des Denkens und Erkennens - ist ursprünglich eine naturphilosophische Frage.
Die Zeit ist kein physikalisches Ding und keine Eigenschaft von Dingen, sondern ein abstraktes Ordnungs- und Maßsystem. Der gleichmäßige Wechsel von Tag und Nacht ist der Ursprung der Zeit. Durch die evolutionäre Entwicklung des Verstandes entsteht die Zeit als angeborene Vorstellung. Aber nicht die Zeit fließt dahin, sondern die realen Vorgänge und Zustände der Welt bilden einen Verlauf. Mit dem auf der Zeitskala gleichmäßig fortschreitenden Uhrzeiger messen wir die Dauer von Geschehnissen und Veränderungen. Daraus folgt das Streben nach gleichmäßig gehenden Uhren. Es gibt nur
eine Zeit, die überall dieselbe ist, weil sich die Welt als Ganzes in jedem Augenblick in einem bestimmten Zustand befindet.
Die Zeit ist ein abstraktes Ordnungssystem, das uns infolge der evolutionären Entwicklung des Verstandes angeboren ist. Am Maßstab der Zeit messen wir den Fortgang der realen Geschehnisse. "Außerhalb des Verstandes gibt es nichts, was man als Zeit bezeichnen kann" (Helmut Hille). Dies darzulegen ist das Hauptziel meiner Theorie. Daneben sind die Begriffe "Gleichzeitigkeit" und "Uhrzeit" zu klären. Der Satz von Helmut Hille "Zeit ist das Maß der Dauer" erschließt sich nicht auf den ersten Blick, denn für Newton ist die Dauer nur ein anderes Wort für die Zeit. Wenn wir aber die Dauer als eine Relation der Außenwelt unterscheiden von der im Verstand gegebenen Zeit, so lösen sich die mit der Zeit verbundenen Rätsel weitgehend auf. Allerdings verlangt die nachfolgend dargelegte Theorie von uns, bestimmte Denkgewohnheiten aufzugeben, indem sie unsere Jahrtausende alte Vorstellung vom Dahinfließen der Zeit in Frage stellt.
2. Substantialimus, Relationismus, Idealismus
Aristoteles (384 - 322) definierte die Zeit als Zahl - auch als Maß - der Bewegung (oder das Gezählte an der Bewegung) nach dem Früher oder Später. Der Gedanke ist mit der antiken Zivilisation zunächst untergegangen. Der erhalten gebliebene Teil der Schriften des Aristoteles ist auf Umwegen teils über Konstantinopel, teils über das arabische Spanien in das christliche Mittelalter gelangt. Erst zweitausend Jahre nach Aristoteles gewann die Philosophie wieder die Erkenntnis, dass die Zeit ein abstraktes Ordnungssystem ist.
Die meisten späteren Auffassungen von Zeit stimmen - trotz aller Unterschiede - im Prinzip mit der allgemeinen Beschreibung von Aristoteles überein (vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, § 81). Die Zeit wird als ein Nacheinander verstanden, als Fluss der Zeit, als eine gleichmäßige formale Abfolge von Zeitpunkten.
Newtons Substantialismus scheitert an der Frage, was die Zeit ist, die es als ein Ding neben dem Materiellen gibt. Weil das Nebeneinander und das Nacheinander der Dinge in der Außenwelt stattfindet, hat Newton offenkundig die uns angeborene Vorstellung der absoluten, das heißt der universellen und gleichmäßig verlaufenden Zeit, in die Außenwelt verlegt, ein Vorgang, den man heute als Projektion bezeichnet.
Der Relationismus von Leibniz führt zwar zu der plausiblen Konsequenz, dass es ohne Veränderung keine Zeit gibt. Aber Veränderung allein ist keine Zeit. Leibniz bezeichnet die Zeitrelationen als die Ordnung des Nacheinander. Doch das Neben- und Nacheinander der Veränderungen in der Welt ist keine Ordnung, sondern Chaos. Erst der Verstand bringt Ordnung in das Chaos. Außerdem ist der Einwand bekannt, dass der Relationismus Raum und Zeit bereits voraussetzt, wenn er sagt, dass Raum und Zeit in den räumlichen und zeitlichen Beziehungen zwischen den Dingen bestehen. Leibniz unterliegt einem ähnlichen Irrtum wie Newton, indem der die Welt durch die Brille der uns angeborenen Ordnungsstruktur Zeit betrachtet - was wir unbewusst alle tun - und dadurch die im Verstand gegebene Ordnung nicht im Verstand, sondern in der Außenwelt sieht. Die Theorie von Leibniz, wonach Zeit eine Relation zwischen den Dingen ist, erscheint bestechend einfach und dadurch überzeugend. Doch zu Lebzeiten von Leibniz, 100 Jahre vor Kant, war noch nicht bekannt, dass Raum und Zeit angeborene Kategorien unseres Denkens und Erkennens sind. Der Relationismus versteht die Zeit als eine Eigenschaft der Welt. Doch Veränderung ist keine Zeit, sondern bildet die äußere Ursache für die Entstehung der Zeit im Verstand.
Kant schwankte jahrelang zwischen Substantialismus und Relationismus und verwarf am Ende beides. Die Zeit ist weder ein Ding, das in der Realität existiert, noch ist sie eine Eigenschaft von Dingen. Sondern die Zeit ist, wie der Raum, eine angeborene Denk- und Erkenntniskategorie, die Grundform unseres Denkens und Erkennens. Allerdings konnte Kants "idealistische" Philosophie nicht erklären, warum wir uns mit den angeborenen Vorstellungen von Raum und Zeit in der Wirklichkeit zurechtfinden. Seine Philosophie, wonach wir nicht die Dinge an sich, sondern nur ihre Erscheinungen erkennen, hatte keinen darüber hinaus gehenden Bezug zur realen Außenwelt. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die theoretische Physik um 1900 Ernst Mach folgte und sich die relationistische Auffassung von Raum und Zeit zu eigen machte. Mach, einer der bedeutendsten Protagonisten der theoretischen Physik am Ende des 19. Jahrhunderts, ging sogar noch einen Schritt weiter als Kant, indem er die die Existenz einer objektiven Wirklichkeit überhaupt in Frage stellte. Damit war ein Grundstein für den Subjektivismus und Relativismus in der Physik gelegt.
3. Zeit ist eine Ordnungsstruktur im Verstand
Offenkundig gibt es bis heute keine einheitliche und allgemein akzeptierte Auffassung darüber, was Zeit ist. Die Physik glaubt die Zeit auf ihre Weise definieren zu können und verkennt dabei, dass die Zeit als eine Denkkategorie nicht Gegenstand, sondern eine Voraussetzung der Naturwissenschaft ist.
Gehen wir davon aus, was allgemein akzeptiertes Lexikonwissen und offenkundig ist. Demnach beschreibt die Zeit die Abfolge von Ereignissen. Die Einteilung der Geschehnisse erfolgt
- nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ("Zeitmodus")
- nach früher, später und gleichzeitig ("Zeitordnung")
- nach unterschiedlicher Dauer, wobei Dauer die Abstände in der Aufeinanderfolge von Geschehnissen bezeichnet.
Daraus folgt, dass Zeit ein Ordnungsprinzip ist. Der Gedanke drängt sich geradezu auf, dass dieses Ordnungsprinzip eine Sache des Verstandes ist. Nur der Verstand befähigt uns, im jeweiligen Jetzt das Vergangene im Gedächtnis und das Zukünftige in der Erwartung zu unterscheiden. Nur der Verstand befähigt uns, in einer Reihe von Ereignissen zu unterscheiden, was früher, später und gleichzeitig geschieht. Nur der Verstand befähigt uns, die Dauer zwischen Ereignissen zu schätzen und mit Uhren zu messen.
4. Die Rolle der evolutionären Erkenntnistheorie
Von Natur aus ist uns die Vorstellung angeboren, dass es nur
eine Zeit gibt, und dass sie gleichmäßig verläuft. Stimmt diese Vorstellung mit der Wirklichkeit überein?
Der Biologe und Verhaltensforscher Konrad Lorenz stellte 1941 die Überlegung an, dass auch die Entwicklung des Verstandes durch die Umwelt beeinflusst wird. Dadurch kommt es zu bestimmten Denk- und Erkenntnisformen, die uns angeboren sind. Auf diese Weise entsteht ein ursächlicher Bezug zwischen der realen Außenwelt und Kants a priori gegebenen Verstandeskategorien. Aus genau denselben Gründen, aus denen der Huf des Pferdes zum Steppenboden und die Flosse des Fisches ins Wasser passt, passen die a priori gegebenen Denkkategorien zur Außenwelt (Konrad Lorenz: Kants Lehre vom Apriorischen im Lichte gegenwärtiger Biologie, 1941).
Doch mit der Überlegung, dass unsere angeborenen Denkformen genau so auf die Umwelt passen wie die Flosse des Fisches zum Wasser, ist nicht bewiesen, dass die Vorstellung der absoluten Zeit ein Abbild der Wirklichkeit ist. Zwar ist der Pferdehuf optimal an den Steppenboden angepasst, aber er ist kein Abbild des Steppenbodens im Sinne photografischer Wiedergabe. Mit diesem Argument wurden evolutionstheoretische Überlegungen zu Raum und Zeit schon vor Jahrzehnten durch die theoretische Physik zurückgewiesen. Unsere angeborenen Vorstellungen von Raum und Zeit, so das Argument der Physik, dienten dem Überleben, aber nicht der Wahrheit, was durch die Relativitätstheorie bewiesen sei.
Doch wer aus guten Gründen die Relativität der Zeit verwirft, kann sich mit dieser Auskunft nicht abfinden, sondern wird weiterfragen. Auch wenn die Grundüberlegung der evolutionären Erkenntnistheorie kein Beweis dafür ist, dass die absolute Zeit ein direktes Abbild der Wirklichkeit darstellt, so führt sie uns doch zwangsläufig zu der Frage, wie die Vorstellung von absoluter Zeit in den Verstand kommt.
5. Wie entsteht die Zeit in den Verstand?
Manche Sachverhalte versteht man erst, wenn man ihre Entstehungsgeschichte kennt. Zwar ist die Entstehung der Zeit nicht historisch überliefert, aber sie lässt sich glaubwürdig rekonstruieren.
In einem frühen Entwicklungsstadium der Menschheit macht das Individuum die Erfahrung des regelmäßigen Wechsels von Tag und Nacht. Dieser gleichmäßige Rhythmus führt in der weiteren Entwicklung dazu, die realen Geschehnisse in eine gleichmäßige Skala von Tagen einzuordnen. Bestimmte Ereignisse werden einem bestimmten Tag zugeordnet, und der Abstand (die Dauer) zwischen zwei Ereignissen kann in Tagen angegeben werden. Auf diese Weise entsteht im Lauf des Entwicklungsprozesses die Vorstellung von gleichmäßig verlaufender Zeit. Die Zeitskala ist zuerst in Tage eingeteilt, die in einen Kalender eingeordnet werden. Dieser wird wiederum mit dem Jahreslauf verbunden.
Hier liegt der Ursprung der Vorstellung, dass die Zeit gleichmäßig verläuft. Die abzählbaren Tage fließen dahin, aber zunächst tritt nicht in das Bewusstsein, dass der Tag eine Maßeinheit ist. Sondern als Merkmal eines Tages wird wahrgenommen, dass er mit bestimmten Ereignissen verbunden ist, zum Beispiel der Geburt eines Kindes oder dem Erscheinen eines Kometen. Die Abfolge der Ereignisse wird mit dem Fluss der Tage und schließlich mit dem Fluss der Zeit verbunden.
Auch Martin Heidegger (1889-1976) führt die Zeitlichkeit auf den Lauf der Sonne zurück, woraus als natürliches Zeitmaß der Tag folgt ("Sein und Zeit", § 80). Zwar erschließt sich Heideggers Philosophie dem ungeschulten Leser nicht, doch ist sie in einzelnen Teilaspekten wie z. B. beim Zeitbegriff unbedingt hilfreich.
Hinzu kommt eine zweite elementare Erfahrung, nämlich dass es nur eine Außenwelt gibt, in der das Individuum und alle anderen Individuen leben. Es gibt nur eine aus Tagen besehende Zeitskala in dieser Welt, in der die Sonne überall im gleichen Tagesrhythmus am Zenit steht. Dies führt zu der Vorstellung, dass es nur eine Zeit gibt, die überall dieselbe ist. Erst ungezählte Generationen später, als diese Vorstellung von Zeit bereits von Natur aus im Verstand verankert ist, erwirbt die Menschheit das Wissen, dass die Sonne in unterschiedlichen Teilen der Welt zu unterschiedlichen Zeiten auf- und untergeht.
Die Vorstellung, dass es nur eine Zeit gibt, wird auch bestätigt durch die Beobachtung und Erfahrung des Urmenschen, dass die Gleichzeitigkeit von Ereignissen eine reale Tatsache ist. Daraus folgt, dass der Augenblick, den ich mit Jetzt bezeichne, überall der selbe ist. Die selbstverständliche Erfahrung, dass die Gleichzeitigkeit von Ereignissen eine reale Tatsache ist, machen wir auch heute noch innerhalb unseres Gesichtskreises. Es gibt keinen Grund dafür, warum die reale Gleichzeitigkeit nicht auch über den Bereich hinaus gegeben sein sollte, den wir unmittelbar beobachten können.
Mit zunehmender Entwicklung des Verstandes entsteht die Fähigkeit und das Bedürfnis, in kleineren Zeiteinheiten zu denken. Aus dem zunächst in Tage eingeteilte Kalender wird eine kleinteiligere Zeitskala durch die Unterscheidung des Sonnenstandes nach Morgen, Mittag und Abend. Später kommen Sonnenuhren hinzu, und man ist dadurch in der Lage, den Tag in Stunden einzuteilen.
Am Beginn dieser hier skizzierten Entwicklung ordnet der Verstand jedes Ereignis einem bestimmten Tag zu. Der Zeitpunkt und damit die kleinste Einheit auf der Zeitskala ist ursprünglich ein Tag. Mit der in der weiteren Entwicklung folgenden Einteilung des Tages in Stunden, Minuten und Sekunden kann jedes Ereignis mit einem viel kleineren Zeitpunkt verbunden werden. Am Ende der Entwicklung, im gegenwärtigen wissenschaftlichen Zeitalter, steht die Erkenntnis, dass der Zeitpunkt beliebig klein gedacht werden kann. Daraus folgt als Konsequenz, die Konstruktion von immer noch genaueren Uhren anzustreben. Wobei die Genauigkeit der Uhr zwei Eigenschaften impliziert, nämlich den gleichmäßigen Gang und eine möglichst kleinteilige Zeitskala. Heute kann man mit Atomuhren Milliardstel Sekunden messen.
Zur Illustration:
Die Zeitskala ist am Beginn der Entwicklung ein Kalender, der in Tage eingeteilt ist. Reale Ereignisse werden einem bestimmten Tag zugeordnet. Der Abstand zwischen Ereignissen wird in Tagen benannt und gemessen. Die natürliche Zeiteinheit ist ein Tag.
| | | | | | | | | Tage
Mit fortschreitender Entwicklung des Verstandes wird die Zeitskala kleinteiliger. Der Verstand denkt in Stunden, dann in Sekunden. Am Ende der Entwicklung erkennen wir, dass ein Zeitpunkt beliebig klein gedacht werden kann. Jedes beliebige Ereignis und jeden der ständig wechselnden Zustände der Welt verbinden wir - bewusst oder unbewusst - gedanklich mit einem Zeitpunkt.
....................................................................................... Milliardstel Sekunden
Die Zeitskala im Verstand des gegenwärtigen Menschen ist unendlich kleinteilig. Dies zeigt sich darin, dass man Atomuhren baut, die Milliardstel Sekunden anzeigen. Wäre es technisch möglich, so würde man noch genauere Uhren bauen.
Der Lauf der Sonne führt nicht nur zum Wechsel von Tag und Nacht und auf diese Weise zu einer endlosen Zeitskala, auf der die Zeiteinheiten abgezählt werden. Sondern der Stand der Sonne zeigt Morgen, Mittag und Abend an. Dies ist der Ursprung der Uhrzeit, die zunächst nur ungenau von der Sonnenuhr abgelesen wurde.
6. Stimmt die absolute Zeit mit der Wirklichkeit überein?
Die uns angeborene Vorstellung von absoluter Zeit besteht darin, dass die Zeit gleichmäßig verläuft und dass es nur eine Zeit gibt. Stimmt diese Vorstellung mit der Wirklichkeit überein? Darin sind zwei Fragen enthalten, nämlich der Gleichmäßigkeit und nach der Universalität der Zeit.
Dass die Zeit gleichmäßig verläuft, stellt kaum jemand ernsthaft in Frage. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass wir nur Uhren als brauchbar erachten, die gleichmäßig gehen.
(Die Relativitätstheorie geht von einem ungleichmäßigen Verlauf der Zeit aus, weil Einstein die Zeit mit dem Gang von Uhren gleichsetzt. Der unterschiedliche Verlauf von physikalischen Vorgängen in unterschiedlich bewegten Systemen in der Relativitätstheorie resultiert aus der Verwendung von variablen Maßeinheiten. Misst man dieselbe Geschwindigkeit mit variablen Zeiteinheiten, so kommen zwangsläufig unterschiedliche Geschwindigkeiten heraus.)
Entspricht es der Wirklichkeit, dass es nur eine Zeit gibt?
a) Die Frage ist in dieser Form falsch gestellt. In welcher Hinsicht sollte ein abstraktes Ordnungs- und Maßsystem mit der Wirklichkeit übereinstimmen? Auf gleicher Ebene würde zum Beispiel die Frage liegen, ob der Meterstab als Messwerkzeug mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wenn ein Meterstab unbrauchbar wäre, dann nur, wenn seine Skala nicht gleichmäßig eingeteilt wäre, oder wenn man unterschiedliche Meterstäbe mit variablen Zentimetern verwenden würde.
Die Unterscheidung zwischen dem Ordnungs- und Maßsystem Zeit einerseits und den zu messenden Zeitrelationen andererseits beruht auf der Unterscheidung von Innen- und Außenwelt.
Außenwelt:
In der Außenwelt gibt es die Abstände in der Aufeinanderfolge von Ereignissen ("Zeitrelationen")
entweder als Dauer zwischen den Ereignissen,
oder als Gleichzeitigkeit von Ereignissen.
Die unterschiedlichen Relationen, nämlich Dauer und Gleichzeitigkeit, bezeichnen reale Tatsachen (keine realen Dinge, aber reale Sachverhalte) in der realen Welt.
Innenwelt:
Im Verstand gibt es die Zeit als Ordnungsstruktur und Maß für die Relationen der realen Außenwelt, wodurch wir entweder die Dauer zwischen zwei Ereignissen oder die Gleichzeitigkeit (als fehlende Dauer) erkennen.
b) Die Antwort auf die Frage, ob überhaupt eine Übereinstimmung unserer angeborenen Vorstellung von Zeit mit der Wirklichkeit besteht, ist folgende. Die Welt weist Strukturen auf, auf deren Grundlage Raum und Zeit im Verstand entstehen. Die für den Raum grundlegende Struktur der Welt besteht im Nebeneinander der Dinge sowie in ihren Abständen und Größen. Die für die Zeit grundlegende Struktur der Welt besteht im Nacheinander der Veränderungen. Weil sich das Nacheinander der Veränderungen in der Außenwelt abspielt, haben wir die natürliche Neigung, die Zeit als eine Eigenschaft der Welt aufzufassen, anstatt sie als Ordnungsstruktur des Verstandes zu erkennen.
c) Dass es nur eine Welt und folglich nur eine Zeit gibt, ist zunächst eine ursprüngliche Erfahrung in einem frühen Entwicklungsstadium des Verstandes (siehe Nr. 5 - wie entsteht die Zeit im Verstand). Diese Erfahrung allein mag manchen nicht als Beweis gelten. Der Beweis liegt auf einer anderen Ebene. Wer die Theorie ablehnt, dass es außerhalb des Verstandes keine Zeit gibt, der wird die Zeit in der Außenwelt suchen. Daher wird er die Frage, ob unsere angeborene Vorstellung von absoluter Zeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt, keineswegs für sinnlos halten. Die Antwort auf diesen Einwand besteht in der folgenden Überlegung:
Die Welt als Ganzes befindet sich in jedem Augenblick in einem bestimmten Zustand. Der Zustand der Welt ändert sich von Augenblick zu Augenblick durch unzählige Geschehnisse und Veränderungen von atomarer bis kosmischer Größenordnung. Wenn die Welt in jedem Augenblick in einem bestimmten Zustand ist, dann ist jeder Augenblick überall derselbe. Es gibt nur eine Welt, folglich nur eine reale Gleichzeitigkeit, die in der ganzen Welt dieselbe ist. Wäre dies nicht der Fall, so würde die Welt als Ganzes nicht gleichzeitig existieren.
Dieser Gedanke wird keineswegs dadurch widerlegt, dass wir als Menschen nicht in der Lage sind, die Welt als Ganzes zu beobachten und zu beschreiben. Der logische Verstand befähigt uns zu der Erkenntnis, dass die Welt ein Ganzes ist, dessen Zustand sich ständig ändert. Der Einwand, dass in der Wissenschaft nur zählt was wir beobachten und messen können, ist lediglich der Nachhall eines obsoleten Positivismus aus dem 19. Jahrhundert.
7. Zwischenergebnis - Was ist die Zeit?
In der äußeren Wirklichkeit gibt es die realen Dinge, die sich verändern und bewegen. Alles ist in ständiger Veränderung, von den Schwingungen der Atome, über die Bewegungen in alltäglicher Größenordnung, bis zur Bewegung der Galaxien. Alles fließt, weshalb man nicht zweimal in den selben Fluss steigen kann, wie Heraklit gesagt hat. Als biologisches Individuum und als Person bleibt der Mensch identisch für die Dauer seines Lebens. Doch materiell ist er ein Teil der sich ständig verändernden Welt. Materiell bin ich heute ein Anderer als gestern, weil sich meine Körperzellen ständig erneuern, doch als biologisches und geistiges Individuum bin ich derselbe.
Die Zeit ist der uns angeborene Maßstab, an dem wir die Geschehnisse ordnen und messen
- nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
- nach früher, später und gleichzeitig
- nach unterschiedlicher Dauer.
Die einfachen Unterscheidungen nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie nach früher, später und gleichzeitig erfolgen durch die Verstandeslogik bzw. aufgrund der Erinnerung (des Gedächtnisses) und der Erwartung (im Sinne von geplanter Vorausschau). Die exakte Unterscheidung nach kurzer oder langer Dauer bedarf eines Maßstabs. Deshalb ist Zeit das Maß der Dauer.
An der Dauer eines bestimmten Vorgangs messen wir auch die Geschwindigkeit des Vorgangs. Daher ist die Zeit nicht nur das Maß der Dauer, sondern auch der Geschwindigkeit. Ein Beispiel dafür ist die Geschwindigkeit, mit der eine bestimmte Strecke zurückgelegt wird. Nehmen wir einen 100-Meter-Läufer. Zwischen dem Start (Ereignis 1) und der Ankunft auf der Ziellinie (Ereignis 2) liegt eine Dauer, die mit 10 Sekunden gemessen wird. Aus der Zahl der Sekunden können wir die Geschwindigkeit des Läufers berechnen nach der Formel v = s/t. Aber auch die Geschwindigkeit physikalischer Vorgänge, chemischer Reaktionen und biologischer Prozesse wird an der Zeit gemessen.
Weil wir gedanklich jedes der unzähligen aufeinander folgenden Ereignisse in der Welt mit einem Zeitpunkt auf der Zeitskala verbinden, sprechen wir irrtümlich davon, dass die Zeit fließt. Doch wir täuschen uns. Nicht die Zeit verläuft, denn sie ist ein abstrakter Maßstab im Verstand, vergleichbar einem Meterstab. Sondern die Geschehnisse bilden einen Verlauf. Was wir als dahinfließend beobachten, sind die realen Geschehnisse und Veränderungen der Außenwelt. In Unkenntnis dessen, was genau Zeit ist - die angeborene Denkkategorie Zeit ist uns unbewusst - bezeichnen wir seit jeher den Fluss der Geschehnisse unzutreffend als Fluss der Zeit.
Der britisch-australische Philosoph John J. C. Smart schreibt in "The River of Time" (1949): "Selbst die unkritischste Person wird vermuten, dass wir, wenn wir von der Zeit als einem fließenden Fluss reden, in einer irgendwie illegitimen Weise reden. Die Zeit ein Fluss, sagen wir zu uns selbst, ein komischer Fluss ist das. Aus was für einer Flüssigkeit besteht er? ... Wir sind sogar noch stärker beunruhigt, wenn wir uns fragen, wie schnell dieser Fluss fließt."
Die Frage, mit welcher Geschwindigkeit die Zeit fließt, geht ins Leere. Die Zeit fließt nicht. Außerdem ist Geschwindigkeit das mathematische Ergebnis aus Veränderung und Zeit, zum Beispiel aus zurückgelegter Strecke je Sekunde. Die Berechnung einer Geschwindigkeit setzt also die Zeit bereits voraus, weshalb die Zeit selbst keine Geschwindigkeit hat. Überdies hängt die Größe jeder Geschwindigkeit vom gewählten Bezugssystem ab. Es gibt aber kein Bezugssystem, an dem die Geschwindigkeit der Zeit gemessen werden könnte. - Dasselbe gilt, wenn wir die Frage in andere Worte fassen: Mit welcher Geschwindigkeit schreitet das Jetzt auf der Zeitskala voran?
Denken und Tun geschehen in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit und nicht in der Zukunft. Psychologen haben herausgefunden, dass unsere gefühlte Gegenwart etwa drei Sekunden beträgt. Nach Ablauf dieser drei Sekunden wird die Gegenwart zur Vergangenheit, und wir denken und handeln in einer neuen Gegenwart. Aus psychologischer Sicht schreitet also die Gegenwart im Drei-Sekunden-Takt voran.
Nicht die Zeit vergeht, sondern jeder gegenwärtige Zustand der Welt vergeht, weil der Zustand der Welt im nächsten Augenblick ein anderer ist. Aber weil unser Verstand selbständig und ohne dass uns dies bewusst ist, jeden Zustand der Welt mit einem Zeitpunkt auf der Zeitskala verbindet, glauben wir, dass die Zeit vergeht.
Das vermeintliche Vergehen der Zeit ist die Hauptursache dafür, dass die Zeit bis heute letztlich als ein ungelöstes Rätsel gilt, das zu Widersprüchen und Zirkelschlüssen führt. Die Zeit vergeht und ist doch irgendwie ständig vorhanden. Reale Existenz scheint nur in der Zeit möglich, ohne dass man sagen könnte, was die Zeit ist.
Weil uns die Zeit als angeborene Denk- und Erkenntnisstruktur unbewusst ist, haben die Menschen von Natur aus keine genaue Vorstellung davon, was Zeit ist. Dadurch kommt es zu Irrtümern und unzutreffenden Theorien über die Zeit: Die Zeit als ein Ding wie andere reale Dinge (Newton). Die Zeit als Eigenschaft der Dinge und der Welt (Relationismus). Mit unterschiedlicher Geschwindigkeit verlaufende Zeiten in der Welt. Die Identität von Raum und Zeit. Die Zeit als Illusion.
Dagegen sagt die neue Theorie:
Zeit ist ein abstraktes Ordnungssystem im Verstand. Am Maßstab der Zeit ordnen und messen wir den Verlauf der Veränderungen der Außenwelt.
Nicht die Zeit verläuft, sondern die Geschehnisse bilden einen Verlauf
Dauer ist keine Zeit, sondern eine Relation zwischen Ereignissen.
Die Zeit ist das Maß der Relationen, d. h. die Größe oder "Länge" einer Dauer messen wir am Maßstab der Zeit.
Die Existenz von Dingen ist nicht mit Zeit, sondern mit Dauer verbunden. Weil wir aber eine Dauer in Zeiteinheiten (Sekunden) ausdrücken, machen wir begrifflich zwischen Dauer und Zeit keinen Unterschied.
Geht es also nur um einen geänderten Gebrauch von Begriffen? Keineswegs. Entscheidend ist der Inhalt der Theorie. Die Zeit ist kein selbständig existierendes Ding. Sie ist keine Eigenschaft der Welt und keine Relation zwischen den Dingen. Zeit ist ein abstraktes Ordnungssystem im Verstand. Außerhalb des Verstandes gibt es nichts, was man als Zeit bezeichnen kann.
Zeitmodus und Zeitordnung (Nr. 3) beruhen auf Leistungen des Gedächtnisses. Die Vorstellung von gleichmäßig verlaufender Zeit ist ursprünglich durch den Wechsel von Tag und Nacht entstanden.. Es gibt nur eine Zeit, weil es nur eine Welt gibt.
8.. Die Zeit ist objektiv, auch wenn es sie nur im Verstand gibt
Martin Heidegger erörtert in "Sein und Zeit" auch die Frage, inwieweit die Zeit subjektiv und inwieweit sie objektiv ist. Die Frage stellt sich in Bezug auf die hier vorgestellte Theorie nicht. Diese meint ausdrücklich die objektive, als Maßeinheit definierte und auch als physikalisch bezeichnete Zeit, nicht aber die subjektiven Aspekte im soziologischen oder existenzphilosophischen Zusammenhang.
Nur am selben Ort beobachten die Menschen dieselben Ereignisse. An anderen Orten haben die Menschen andere Ereignisse im Blickfeld. Die Sonne geht in unterschiedlichen Gegenden der Welt zu unterschiedlichen Zeiten auf und unter. Doch daraus kann nicht gefolgert werden, dass die Zeit subjektiv wäre. Dazu sei hier noch einmal an folgende Gesichtspunkte erinnert:
- Maßeinheiten wie zum Beispiel Sekunden sind stets objektive Größen, auf die man sich einigt. Die Wahl der Maßeinheit ist eine Frage der Konvention. Die Sekunde geht auf die historische Einteilung des Sonnentages zurück. Heute ist die Sekunde exakt definiert auf der Grundlage bestimmter Schwingungszustände des Caesium 133-Atoms.
- Die Zeit ist objektiv, weil im Verstand eines jeden Menschen von Natur aus dieselbe Vorstellung der einen, gleichmäßig verlaufenden Zeit gegeben ist. Die Ursache dafür liegt in der Prägung des Verstandes durch die Evolution. Die evolutionären Bedingungen für die Entstehung der Zeit, vor allem in Form des Wechsels von Tag und Nacht, waren überall auf der Erde dieselben. Für den Verstand gibt es von Natur aus nur eine Welt und daher nur eine Gegenwart.
- Wenn der Zeitpunkt, den ich mit "Jetzt" bezeichne, überall derselbe ist, so ist Gleichzeitigkeit nicht nur objektiv, sondern absolut. Die reale Gleichzeitigkeit der Welt - oder die gleichzeitige Existenz der Welt als Ganzes - ist die verbindende Klammer zwischen der im Verstand gegebenen Denkstruktur Zeit und der äußeren Wirklichkeit. Das gemeinsame Jetzt, mit dem wir alle den augenblicklichen Zustand der Welt bezeichnen, ist eine logische und philosophische Gewissheit.
- Daneben wird der Bezug zwischen Verstand und Außenwelt auch hergestellt durch die Zeit als Maß der Dauer. Mit Hilfe der Zeit ordnen wir die Aufeinanderfolge der Geschehnisse nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zählen wir den Verlauf der Geschehnisse nach Tagen, Stunden und Sekunden.
- Das Einordnen historischer Ereignisse in den Kalender kann als Erweiterung der Zeitskala in die Vergangenheit gesehen werden. Ereignisse, die in der Erinnerung des Einzelnen längst verblasst sind oder sich vor unserer Geburt ereignet haben, werden durch die Historiker in den Kalender eingeordnet und auf diese Weise in einem kollektiven Gedächtnis festgehalten. Dass unterschiedliche Kalender verwendet werden, ändert nichts daran. Die Komputistik (wissenschaftliche Kalenderkunde) befasst sich u.a. mit der Umrechnung von kalendarischen Angaben.
9. Was ist eine Uhr?
Um die Dauer zwischen zwei Ereignissen (oder den Abstand zwischen zwei Zeitpunkten) zu messen, benötigen wir als Werkzeug eine Uhr. Aus der Physik wissen wir, dass jeder gleichmäßig verlaufende oder sich in gleichmäßigen Perioden wiederholende physikalische Vorgang als Uhr geeignet ist. Beispiele dafür sind die Sanduhr, die Schwingungen eines Pendels, die Erdrotation, die zum Wechsel von Tag und Nacht führt. Wobei das Wort "Zeitmessung" nicht eigentlich zutrifft, denn was wir messen, ist eine Dauer, der Maßstab für die Dauer ist die Zeit. Man kann die gebräuchlichen Uhren als Messgeräte bezeichnen, die gleichmäßige Zeiteinheiten - zum Beispiel Sekunden - zählen. Die Anzahl der Sekunden zwischen zwei Ereignissen sagt uns, welche Dauer zwischen zwei Ereignissen (oder Zeitpunkten) liegt.
Schon Newton traf die Unterscheidung zwischen der absoluten, gleichmäßig verlaufenden Zeit und der mit Uhren gemessenen relativen Zeit. Relativ, weil keine Uhr vollkommen gleichmäßig geht. Newtons Hoffnung richtete sich darauf, dass der Fortschritt von Wissenschaft und Technik gleichmäßig gehende Uhren ermöglichen werde. Diese Hoffnung wurde durch die modernen Atomuhren weitgehend erfüllt. Allerdings können Atomuhren, auch wenn man Störungen beispielsweise durch wechselnde Temperatur oder Schwerkraft weitgehend ausschließt, im Lauf von einer Millionen Jahren theoretisch immer noch um eine Sekunde vom gleichmäßigen Gang abweichen.
Die übliche Uhr besteht aus einem festen Zifferblatt mit der Zeitskala und aus einem gleichmäßig voranschreitenden Zeiger, der die abgezählten Sekunden auf der Skala anzeigt. (Der Einfachheit halber gehe ich von einer Uhr mit Sekundenzeiger aus). Wenn die Skala nicht geradlinig ist, sondern die Form eines runden Zifferblatts hat, so hat das lediglich technische Gründe. Ein gleichmäßig rotierender Zeigerantrieb lässt sich einfacher realisieren als ein linear bewegter Zeiger. Da außerdem die Länge einer linearen Skala technisch begrenzt ist, müsste der am Ende der Skala angelangte Zeiger ohne Verzögerung auf den Anfang zurückspringen. Dagegen gelangt bei einem runden Zifferblatt der Zeiger nach jeder Umdrehung automatisch wieder zum Nullpunkt. - Mit der Einführung elektronischer Bauteile wird die Skala häufig durch eine digitale Anzeige der gezählten Sekunden ersetzt.
Während in den frühesten Kulturen die Zeit nach Tagen im Kalender abgezählt wurde, macht heute die Uhr im Prinzip dasselbe auf einer kleinteiligeren Skala mit Sekunden und Bruchteilen von Sekunden. An der Uhr wird die Zeit sichtbar. Die Skala auf dem Zifferblatt steht für den Zeitmaßstab. Der gleichmäßig laufende Zeiger zählt die Zeiteinheiten auf dem Maßstab.
Auch ein Grundgedanke der vorliegenden Zeittheorie wird durch die Uhr anschaulich. Wir glauben am Sekundenzeiger den Lauf der Zeit zu beobachte. Doch dies ist ein Irrtum. Die Zeit wird symbolisiert durch das Zifferblatt mit der festen Zeitskala. Die Zeit ist ein festes Ordnungssystem, das nicht fließt. Was sich bewegt, ist der Zeiger. Er ist zugleich Symbol und Bestandteil der materiellen Welt, die ständig im Fluss ist. Bei jeder Stellung des Zeigers ist die Welt in einem bestimmten Zustand. Auch der Zeiger selbst ist ein Teil der Welt, die sich von Sekunde zu Sekunde verändert. - An Uhren mit anderem technischen Design, zum Beispiel wenn sich das Zifferblatt statt des Zeigers dreht oder bei Uhren mit digitaler Anzeige, wird diese Symbolik nicht sichtbar.
Die Uhr liefert auch einen Beweis dafür, dass die Zeit mit ihrer Unterscheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht etwa eine Illusion ist (wie manche Relativisten in Anlehnung an eine Idee des alternden Einstein glauben), sondern dass die reale Welt tatsächlich nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu unterscheiden ist. Ein vergangener Zustand der Welt existiert nicht mehr real, sondern nur in unserer Erinnerung. Aus diesem Grund können wir mit der Uhr nur von der realen Gegenwart in die Zukunft messen, welche am Ende des Messvorgangs reale Gegenwart ist. Dagegen kann die Uhr nicht rückwärts in die Vergangenheit messen.
Eine gemessene Dauer hängt von der Genauigkeit der Uhr ab. Nicht aber hängt die Zeit als abstraktes Ordnungssystem vom Gang der Uhr ab. Wenn die Uhr ungenau geht, so korrigieren wir die Uhr, nicht die Zeit.
10. Die Uhrzeit
Häufiger als zur Zeitmessung werden Uhren im Alltag für einen anderen Zweck verwendet. Schon in der Antike verwendete man Sonnenuhren, um eine gemeinsame Zeit zu verabreden. Die moderne Zivilisation funktioniert nur mit einheitlichen Terminen, zum Beispiel um Fahrpläne zu erstellen, den Arbeits- und Schulbeginn und andere Termine festzulegen. Zu diesem Zweck werden Zeitzonen mit einheitlicher Zeit festgelegt. Eine Referenzuhr bestimmt die Uhrzeit für die gesamte Zeitzone, und wer Termine einhalten oder die Eisenbahn nicht versäumen will, der richtet seine Uhr nach der Referenzuhr, das heißt nach der für die Zeitzone festgelegten Uhrzeit. Die für alle verbindliche Uhrzeit hat also eine wichtige soziale und technische Funktion. Sie bestimmt den Takt für den Arbeitsrhythmus der Gesellschaft und ihrer Mitglieder.
Schon vor Jahrzehnten hat man sich auf eine wissenschaftlich-technische Weltzeit (WZ) geeinigt, die auch bekannt ist als Greenwich Mean Time (GTM) oder Universal Time (UT), wobei wir an dieser Stelle nicht eingehen müssen auf astronomische Unterschiede zwischen Sonnen- und Sternentagen oder tropischem, gregorianischem und siderischem Jahr. Die Weltzeit in diesem Sinne ist eine technische Uhrzeit. Sie ist Bezugszeit für die anderen gebräuchlichen Zeitzonen, die rund um den Globus eingerichtet wurden und umfasst auch die durch die Raumfahrt bisher erschließbaren Bereiche.
In der Natur gibt es keine Uhrzeit. Es gibt gleichmäßig verlaufende physikalische Vorgänge wie die Erdrotation oder die Schwingungen von Atomen oder Pendeln. Aber gleichmäßige physikalische Vorgänge sind keine Zeit. Sie sind auch keine Uhrzeit, sondern als Uhren verwendbar. Die Uhrzeit beruht auf Konvention und gesetzlicher Vorschrift und regelt in erster Linie das soziale Zusammenleben und das Funktionieren der technischen Zivilisation.
11. Schluss
Das Gleichmaß der Zeit wird herkömmlich beschrieben als gleichmäßig verlaufende Zeit. Die absolute Gleichzeitigkeit wird beschrieben als die eine Zeit, die überall dieselbe ist. Beide Vorstellungen von Zeit sind uns in Form dieser herkömmlichen Beschreibung angeboren. Die gleichmäßige, universelle Zeit ist neben dem Raum die Grundform unserer Anschauung, ist Grundlage von Denken und Erkenntnis, wie Immanuel Kant formulierte.
Der Unterschied zwischen der Zeit als Maß der Dauer und der absoluten Gleichzeitigkeit folgt aus ihren unterschiedlichen Grundlagen. Die abgezählte Zeit beruht auf dem Nacheinander der Dinge und Ereignisse. Die absolute Gleichzeitigkeit beruht auf dem Nebeneinander, welches zu einem bestimmten Zeitpunkt besteht.
Man könnte die absolute Gleichzeitigkeit auch als Weltzeit bezeichnen, um sie von der abgezählten Zeit zu unterscheiden. Denn die absolute Gleichzeitigkeit folgt aus dem Bezug auf die physikalische Welt als Ganzes. Allerdings wird die einheitliche Uhrzeit bereits als Weltzeit bezeichnet. Auch ist der Begriff der Weltzeit in einigen anderen Zeittheorien schon mit anderen Bedeutungen besetzt. Die Weltzeit bei Martin Heidegger ist ein existenzphilosophischer Begriff. Es ist die Zeit, welcher der einzelne unterworfen ist, sei es durch den Wechsel von Tag und Nacht, sei es durch die allgemein verbindliche Uhrzeit.
Unser Ausgangspunkt war die Frage, was die objektive, physikalische Zeit ist. Am Ende stellen wir fest, dass der Begriff der objektiven Zeit unterschiedliche Aspekte aufweist.
Erstens die Zeit als Maß der Dauer. Sie ist uns ursprünglich als Vorstellung von gleichmäßig verlaufender Zeit angeboren und wird bestätigt durch die Verwendung der Sekunde als physikalische Maßeinheit.
Zweitens die absolute Gleichzeitigkeit. Die Gewissheit ist uns angeboren, dass jeder Zeitpunkt überall derselbe ist. Sie wird bestätigt durch den reflexiven Bezug auf die Welt als Ganzes. Wenn jeder Zeitpunkt, den ich mit "Jetzt" bezeichne, überall derselbe ist, so gibt es nur eine Zeit.
Drittens die Uhrzeit. Sie kommt in der Natur nicht vor, ist aber objektiv durch Konvention und gesetzliche Vorschrift. Sie ermöglicht das Funktionieren der technischen Zivilisation und regelt in erster Linie das soziale Zusammenleben, findet aber auch in der Wissenschaft Anwendung.